Interview mit den Autoren

Stacks Image 12
ElitePartner.de:
Ihr Buch trägt den Titel: Treue ist auch keine Lösung - propagieren Sie den Seitensprung?

Lisa Fischbach:
Ganz im Gegenteil! Das Buch ist entstanden, weil wir immer wieder in der Paarberatung das Leiden sehen, das durch Fremdgehen und Eifersucht erzeugt wird. Untreue ist hochproblematisch – nicht aus moralischen Gründen, sondern aufgrund der oft katastrophalen Folgen für die Partner und ihre Beziehungen. Sie ist auf der anderen Seite aber nicht wegzudenken, sie „kommt in den besten Familien vor“ und ist ein Dauerbrenner-Thema in der Liebe. Man könnte also sagen: Untreue ist keine Lösung aber Treue auch nicht!


ElitePartner.de:
Aber wenn weder Treue noch Untreue eine Perspektive bieten, was bleibt denn dann übrig?

Holger Lendt:
Mit dem üblichen Treueverständnis haben wir tatsächlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, da ist die Lage ziemlich aussichtslos. Wir können dann entweder "noch geschickter fremdgehen lernen", um den Partner nicht zu verletzen oder mehr Selbstbeherrschung üben, im Verzicht auf Versuchungen außerhalb der Partnerschaft. Aber wir verlieren irgendwie immer, so oder so!


ElitePartner.de:
Warum? Warum können wir nicht einfach treu und glücklich sein?

Lisa Fischbach:
Weil das herkömmliche Konzept von Treue fordert, dass wir uns Begehren und emotionale Nähe zu Dritten versagen. Aber wir alle „blicken“ oder „denken fremd“ – zumindest hin und wieder, selbst wenn das keine sichtbaren Taten zur Folge hat. Das zeigt, dass wir eine instinktive Seite haben, die durch den Anspruch der Treue nicht beherrschbar ist. Wir können sie aber kriminalisieren und dann haben wir den Salat. Wenn wir etwas verbieten, was tief in unserer Natur wurzelt, kann das nur schief gehen. Treue drückt den Wunsch nach tiefer, sicherer Bindung aus. Untreue geht auf unsere natürliche Sehnsucht nach Leidenschaft und Neugier, ja Wachstum zurück – wovon würden Sie sich lieber verabschieden? Wir persönlich könnten uns da nicht entscheiden. Allerdings glauben wir, dass wir das auch gar nicht müssen!

ElitePartner.de:
Treue heißt demnach also sich für die Sicherheit zu entscheiden?

Holger Lendt:
Ja und daraus folgt, dass unsere Lebenslust geopfert oder zumindest stark beschnitten wird. Das kann man dann religiös als den edlen Kampf mit unseren angeblich unedlen Trieben verbrämen oder als sinnloses Martyrium empfinden, das mit echter Spiritualität nichts zu tun hat.

ElitePartner.de:
In Ihrem Buch kommt die Kirche deshalb ja auch nicht sehr gut weg oder?

Holger Lendt:
Regeln sind immer Herrschaftsinstrumente gewesen und man kann gut nachvollziehen, wie im Laufe der Geschichte da ein Gesinnungswandel stattgefunden hat – nicht unbedingt zum Besseren hin würden wir sagen. Unsere leidenschaftliche Seite zu dämonisieren hat zu so viel unnützem Schmerz und Leid geführt. Es geschehen etliche Gewalttaten und Morde nur aus Eifersucht und auch die menschenverachtenden Verstümmelungen von Millionen von Mädchen in Afrika sind eine Folge der Angst der Mächtigen vor der Unordnung, die gelebte Sexualität mit sich bringen kann. Selbst in der heutigen Pornografie ist die Angst der Männer vor einem Liebesleben auf Augenhöhe mit den Frauen eine zentrale Triebfeder.

ElitePartner.de:
Sie sagen aber auch, dass es in der Idee der Treue einen guten, wertvollen Kern gibt.

Lisa Fischbach:
Absolut! Die Idee wäre niemals so erfolgreich, wenn ihr nicht etwas sehr Wahres und Kostbares zugrunde liegen würde, das dazu benutzt wurde, anderen Interessen zu dienen.

ElitePartner.de:
Und was ist dieser gute Kern?

Holger Lendt:
Das Wort Treue kommt von "fest" oder "stark" und damit wird der Wunsch nach einer guten, tiefen und verlässlichen Bindung in Partnerschaften ausgedrückt. Auch das Wort Trauung kommt daher und sogar das Ver-trauen! Wir kommen einen ganzen Schritt weiter, wenn wir uns klarmachen, dass der Anspruch der Treue, nämlich das Verbot: „Liebe keinen anderen“, Beziehungen viel schwächer und instabiler macht, denn wir können uns selbst nicht erfolgreich verbieten Mensch zu sein. Wenn wir aber aus der Treue ein Gebot machen, dann werden dadurch nur Aussagen über zwei Menschen getroffen: „Liebe mich!“, bezieht sich auf mich, meinen Partner und unsere Liebe. Es ist eine positive Treue, die zulassen würde, dass mein Partner auch noch andere lieben oder begehren darf, solange er mich weiterhin nach Kräften liebt und begehrt. Sowohl in der Menschheitsgeschichte – zum Beispiel in den meisten Matriarchaten – als auch in verschiedenen Subkulturen, wie Swingerclubs oder der Polyamory-Szene wird mit ganz anderen Wertmaßstäben gemessen. Eifersucht hat hier eine ganz andere Bedeutung.

ElitePartner.de:
Dann ist die Lösung des Dilemmas also die freie Liebe?

Lisa Fischbach:
Nein, wir favorisieren gar kein Modell von Partnerschaft - weder die Monogamie, noch offene Beziehung oder Polyamory. Manchen passt die Monogamie wie angegossen, aber sehr vielen eben auch nicht. Uns geht es um die Liebe und um die Freiheit sie zu leben. Es kann kein Modell geben, dass allen Menschen "passt". Es wäre fahrlässig, gegen das Dogma der Monogamie zu argumentieren und dann ein anderes einzuführen – das ist zum Teil den 68ern mit ihrer angeblich freien Liebe passiert. Eine „freie Liebe“ im Sinne des Wortes wäre hingegen eine wunderbare Sache, aber dieser Begriff ist historisch zu stark mit dem: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, verknüpft. In der Kommune K1 waren Zweierbeziehungen verboten und das kann nicht des Rätsels Lösung sein. Wir möchten dazu anregen, die Liebe in den Mittelpunkt zu stellen und die kümmert sich offensichtlich nicht um die Frage von Treue und Untreue, sonst würden sich nicht immer wieder Menschen in Dritte verlieben obwohl sie auch noch ihren „Hauptpartner“ lieben. Wenn die Liebe treu wäre, könnten diese Menschen nicht zwei Partner lieben - die Liebe scheint "da drüber zu stehen".

ElitePartner.de:
Verstehe ich Sie nun richtig: Das Buch ist weder eine Fremdgehfibel noch ein Ratgeber für „freie Liebe“, sondern eigentlich ein Buch über die Liebe?

Holger Lendt:
Ja! Paare, die mit Untreue kämpfen beschäftigen sich oft eher mit den „Gesetzesbrüchen“ in der Partnerschaft und nicht mit der zentralen Frage nach der Liebe an sich. Was wir empfehlen ist ein Perspektivwechsel, eine Orientierung an der Liebe, wie wir sie in unserem Leben ganz konkret vorfinden und dann das dazu passende Modell selber gemeinsam zu erarbeiten... immer wieder neu, wenn es nötig ist! Viele Paare haben sehr monogame Phasen, aber wenn sich ein Partner irgendwann zu einem anderen hingezogen fühlt, müsste das bisherige Modell überdacht und angepasst werden und dazu gibt es eigentlich viele erprobte Alternativen. Im öffentlichen Diskurs werden diese Ideen inzwischen zwar öfter, aber immer noch als Kuriositäten oder Experimente dargestellt. Wir sollten uns in dieser Diskussion bitte klarmachen, dass das „Experiment Monogamie“ schon millionenfach gescheitert ist, bevor wir uns ein Urteil über andere Liebesformen erlauben, die wir auch kaum kennen. Es klappt durchaus! Wir kennen einige Paare, die seit vielen Jahren offenere Beziehungsformen leben und das sehr erfüllend finden.

ElitePartner.de:
Das klingt schön, aber auch kompliziert und irgendwie anstrengend, immer wieder neu miteinander die Regeln der Beziehung aushandeln zu müssen.

Lisa Fischbach:
Aller Anfang ist schwer! Wer noch keine Erfahrungen mit anderen Modellen hat, dem fehlt ein Gefühl für das was alles möglich ist und der muss vor allem geistige Barrieren überwinden. Sicherlich ist es oft anstrengend Beziehungsarbeit zu leisten, um herauszufinden, was zwei oder mehr Menschen momentan voneinander wollen, aber wer schweigend davon ausgeht, dass „schon alles gut geht“, der zahlt oft später ein sehr viel höheres Lehrgeld, wenn die Liebe die Regeln bricht, die man ihr aufgezwungen hat. Was ist anstrengender: sich immer wieder auf neue Partner einzulassen, nachdem man wieder mal bitter enttäuscht wurde oder sich zu fragen, wieviel Liebe in unser Leben passt? Viel sinnvoller und erfüllender für unser eigenes Potential und im Sinne der Liebe wäre es doch, wenn wir uns fragen würden, was uns die Liebe damit sagen will, wenn wir uns „fremdverlieben“ oder sich die Gefühle füreinander irgendwie verändern.

ElitePartner.de:
Das klingt wie ein Trick, der aus einem Problem eine Lösung macht!

Holger Lendt:
Vielleicht haben wir ja vor langer Zeit aus einer wundervollen Lösung ein Problem gemacht? Wenn uns der liebe Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat, wofür dann der ganze menschliche Körpersaftladen, wenn er so unheilig ist? Warum beten nur noch wenige, aber vielen entfleucht beim Sex unwillkürlich immer wieder ein „Oh Gott“? Warum ist die christliche Religion ein Weg der Liebe, verbietet aber durch die Ehe der Liebe einige ihrer ganz natürlichen Ausdrucksformen? Wir sind zu recht stolz auf unsere Vernunft, aber wir verwenden sie nicht vernünftig, denn wir stellen unvernünftige Regeln nicht in Frage. Wenn sich so Vieles in unserem Leben um die Liebe dreht, wenn wir so oft auf der Suche sind nach ihr, warum hören wir ihr nicht zu, wenn sie zu uns spricht?

ElitePartner.de:
In Ihrem Buch entwerfen Sie eine Philosophie der Liebe, die Sie Philophilia nennen. Können Sie uns dieses Konzept erklären?

Holger Lendt:
Wir argumentieren im ganzen Buch nur deshalb „gegen“ die Monogamie, um bewusst zu machen, wie wenig Freiheit wir haben, unser Leben voll zu leben, wenn es um die Liebe geht. Wenn wir von Liebe erfüllt sind, empfinden wir unser Leben fast automatisch als sinnvoll und richtig. Das kommt daher, dass die Liebe uns zum innerlichen Wachstum aufruft, zur Selbstvervollkommnung. Wir alle lieben es zu lieben – wir legen im Buch dar, warum das wohl ohne Ausnahme gilt und dass wir sogar die Liebe mehr lieben, als unseren Partner. „Ich liebe dich nicht mehr“, ist heute ein akzeptabler Trennungsgrund! Ginge es uns wirklich um den Partner, dann wäre das Hochverrat. Philophilia meint, dass wir ganz bewusst die Liebe lieben könnten. Sie ernst zu nehmen hieße auch bereit zu sein, ihr zu folgen, wenn sie uns ruft. Wenn in einer bislang zu zweit geführten Beziehung plötzlich ein Partner einen Dritten liebt, kann er sagen, dass die Liebe sich geirrt hat oder dass eine der „beiden Lieben“ falsch sein muss... er könnte sich aber auch der Herausforderung stellen, sein Modell von Beziehung und Liebe der Realität anzupassen. Das passiert nach unserer Erfahrung aber nur selten, denn eine Stimme in uns schreit dann: „Geh nicht weiter oder es passiert was!“ Meist hat diese Stimme recht – es passiert was wenn wir weitergehen.

ElitePartner.de:
Und was genau passiert dann?

Lisa Fischbach:
Wer wirklich liebevoll daran arbeiten will, sich mehr Freiheit zu erobern, der muss das einvernehmlich tun mit den Beteiligten und das kann erstmal ein sehr zähes Ringen mit den Ängsten und Sehnsüchten aller Partner sein. Zunächst braucht es dann sehr viele zusätzliche Absprachen und Sicherheitsregeln, bis sich nach einiger Zeit auch mit der dazu gewonnenen Freiheit ein selbstverständlicher Umgang einstellt. Paare die seit Jahren in irgendeiner Form offener lieben, berichten dann oft von einem tiefen Gefühl der Sicherheit, denn ihre Beziehung hat sich entgegen aller anfänglichen Befürchtungen durch ihre Bemühungen umeinander als sehr stabil und fest erwiesen... und das ist die gute Bedeutung der Treue!

ElitePartner.de:
Das klingt fast schon wieder romantisch! Sie sagen ja in Ihrem Buch, dass wir die Romantik heute missverstehen...

Holger Lendt:
Ja, denn sie folgt derzeit einer Logik der Marktwirtschaft. Wir suchen die wahre Liebe als "Ware Liebe". Der Partner als Objekt soll uns Glück und Erfüllung bringen. Romantik war damals aber eher der bewusste Versuch, mit feiner Ironie die eigene Einbildungskraft zu nutzen, um der aufgeklärten Welt den Zauber des Mysteriösen zurück zu geben. Sowohl bei Paaren, als auch im Coaching von Singles erleben wir heute eher den gegenläufigen Trend: Der Partner wird bis zur vollkommenen Glanzlosigkeit auseinanderanalysiert und danach ist die sogenannte Romantik eben flöten! Wenn wir der Liebe lauschen würden, könnten wir vielleicht wieder lernen, so mit unserer Wahrnehmung zu spielen, dass es unseren Beziehungen zugute kommt. Das nannte Novalis die qualitative Potentierung. Romantik meinte ein ewiges Werden und genau so funktionieren Beziehungen, sie werden nie „fertig“. In diesem Sinne kann man unser Buch durchaus als hochromantisch bezeichnen.

ElitePartner.de:
Eine letzte Frage: Wie leben Sie selber die Liebe?

Holger Lendt:
Philophil! Das Schöne daran ist, dass das eben absolut nichts darüber aussagt, wie viele Partner wir haben oder wie wir leben. Es sagt nur, dass wir die Liebe als etwas Wichtiges empfinden und uns nach Kräften bemühen von ihr zu lernen! Allerdings wollen wir auch feststellen, dass wir als Team aus praktischer Erfahrung mit offeneren Beziehungsformen schreiben. Das Buch ist also direkt aus dem Leben gegriffen und keine graue Theorie. Das sagen wir deshalb, weil eines der unzutreffendsten aber häufigsten „Argumente“ das klassische „Das ist Blödsinn, das gibt’s gar nicht!“ ist – doch, das gibt es und sogar sehr viel häufiger als man es sich vorstellt!

ElitePartner.de:
Vielen Dank für das interessante Gespräch!